Pressemitteilung

Corona: Worauf Unternehmer jetzt bei Insolvenzgefahr achten müssen

Hamburg (ots) – Der Sanierungs- und Insolvenzrechtsexperte Peter-Alexander Borchardt von Reimer Rechtsanwälte im Interview über Insolvenzantragspflichten in Zeiten von Corona, Alternativen zum Regelinsolvenzverfahren und über die geplanten insolvenzrechtlichen Erleichterungen durch die Bundesregierung.

Frage: Wann sind Unternehmer verpflichtet, Insolvenzantrag zu stellen?

Das hängt zunächst von der Art des Unternehmens ab: Geschäftsführer einer GmbH, GmbH & Co. KG, einer haftungsbeschränkten Unternehmergesellschaft (UG) oder Vorstände einer AG sollten sofort bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung Insolvenz anmelden, um eine verschärfte persönliche Haftung zu vermeiden. Spätestens drei Wochen nach Eintritt des Insolvenzgrunds muss der Antrag gestellt werden. Außerdem machen sie sich eventuell strafbar wegen Insolvenzverschleppung.

Anders sieht es bei echten Personengesellschaften wie OHGs, KGs, GbRs oder Einzelunternehmern aus: Rechtlich sind diese nicht verpflichtet, Insolvenzantrag zu stellen – sie können es aber. In jedem Fall hat sich gezeigt, dass die Sanierungschancen steigen, je früher ein Sanierungsexperte hinzugezogen wird. Diese können ein Unternehmen häufig auch ohne Insolvenzantrag im Rahmen einer außergerichtlichen Restrukturierung sanieren.

Frage: Ab wann gilt ein Unternehmen rechtlich als zahlungsunfähig?

Viele Unternehmer denken, dies sei erst der Fall, wenn kein Geld mehr vorhanden ist. Das ist jedoch ein gefährlicher Irrglauben. Um zahlungsunfähig zu sein, genügt es, wenn lediglich zehn Prozent der fälligen Verbindlichkeiten nicht bezahlt werden können. Wer verkürzt gesagt beispielsweise ein Bankguthaben von 90.000 Euro besitzt und fällige Verbindlichkeiten von 100.000 Euro kann bereits als zahlungsunfähig gelten. Das gilt auch in Zeiten von Corona.

Frage: Nun hat das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz angesichts der Corona-Krise angekündigt, die Insolvenzantragspflicht bis zum 30. September 2020 auszusetzen. Was bedeutet das für Unternehmen in wirtschaftlicher Schieflage?

Das ist aktuell leider noch unklar. Als sicher gilt lediglich: Die Aussetzung der Antragspflicht wird an zahlreiche strenge Voraussetzungen geknüpft sein. Außerdem gibt es seit Anfang der Woche zwar Ankündigungen des Ministeriums aber keine verbindliche Änderung des Insolvenzrechts. Das bedeutet unterm Strich: Formell hat sich nichts geändert. Es gilt weiterhin, dass spätestens drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung Insolvenzantrag gestellt werden muss. Eine rechtzeitige Beratung ist weiterhin der beste Weg, um die Sanierung eines Unternehmens sicherzustellen.

Frage: Gibt es sonstige rechtliche Änderungen wegen der Corona-Krise?

Durchaus. Beschlossen ist etwa eine vereinfachte Beantragung von Kurzarbeitergeld. So müssen rückwirkend zum 1. März 2020 lediglich zehn Prozent der der Arbeitnehmer vom außergewöhnlichen Arbeitsausfall betroffen sein. Vorher musste dies ein Drittel sein.

Frage: Was droht Unternehmern, falls sie bei der Insolvenzanmeldung Formfehler begehen?

Eine fehlerhafte Anmeldung führt häufig dazu, dass diese unzulässig und damit ungültig ist. Der Antrag wurde rechtlich quasi nie gestellt. Dann können die Rechtsfolgen wie bei einer Insolvenzverschleppung eintreten. Manche Insolvenzgerichte geben dem Antragssteller allerdings die Möglichkeit, einen fehlerhaften Antrag nachzubessern. Doch eine Garantie dafür gibt es nicht. Daher ist es extrem wichtig, einen Insolvenzantrag durch einen Fachanwalt für Insolvenzrecht vorzubereiten oder ihn zumindest vorher prüfen zu lassen.

Frage: Können Unternehmen vorsorglich Insolvenzantrag stellen und diesen zurücknehmen, wenn sich die Corona-Situation möglicherweise schon in wenigen Wochen wieder gebessert hat und normales Wirtschaften wieder möglich ist?

Ja, bis zur Insolvenzeröffnung kann ein Insolvenzantrag jederzeit zurückgenommen werden. Zu einer Eröffnung kommt es meist erst zwei bis drei Monate nach Antragstellung.

Frage: Welche Möglichkeiten haben Unternehmen, um in der gegenwärtigen Situation Zeit zu gewinnen und einen Insolvenzantrag zu vermeiden?

Sie können beispielsweise mit Lieferanten verbindliche Stundungs- oder Ratenzahlungsvereinbarung treffen. Damit verschieben sie die Fälligkeit der Forderungen. Dafür ist jedoch ganz wichtig, dass sie diese Vereinbarungen schriftlich schließen. Das erfordert keine besondere Form, notfalls genügt bereits eine Bestätigung der jeweiligen Lieferanten per E-Mail.

Zudem stehen staatliche Überbrückungs- und Betriebsmittelkredite für solche Unternehmen zur Verfügung, die von der Corona-Krise betroffen sind. Um dabei keine Zeit zu verlieren, empfiehlt es sich, bei der Beantragung von Krediten erfahrene Sanierungsexperten einzuschalten, um den Betrieb nicht als Ganzes zu gefährden.

Frage: Können Steuerschulden ebenfalls gestundet werden?

Grundsätzlich ja. Die Bundesregierung hat bereits steuerliche Erleichterungen in Form von Stundungen und Senkung der Steuervorauszahlungen in Aussicht gestellt.

Frage: Was geschieht, nachdem ein Unternehmen bei Gericht einen Insolvenzantrag gestellt hat?

Bei einem laufenden Betrieb wird das Insolvenzgericht einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellen. Der wird sich normalerweise innerhalb von 24 Stunden beim Unternehmen melden und die weiteren Schritte abstimmen.

Frage: Können sich Antragsteller ihren Insolvenzverwalter selbst aussuchen?

Das hängt von der Größe des Unternehmens ab. Bei kleinen und mittleren Unternehmen bestimmt das Insolvenzgericht den Insolvenzverwalter im Rahmen seiner richterlichen Unabhängigkeit. Antragsteller können dem Gericht allerdings einen oder mehrere Insolvenzverwalter vorschlagen.

Frage: Bedeutet das Insolvenzverfahren das wirtschaftliche Ende eines Betriebs?

Nein, das ist ein scheinbar unausrottbarer Irrglaube. Das Ziel eines Insolvenzverfahrens ist es, den Betrieb fortzuführen und zu sanieren. Insbesondere im vorläufigen Insolvenzverfahren ist die Betriebsfortführung mit Hilfe des Insolvenzgeldes fast immer möglich.

Frage: Gibt es noch eine Alternative zum Regelinsolvenzverfahren?

Sinnvoll ist vielfach ein sogenanntes Eigenverwaltungs-Schutzschirmverfahren. Hier bleibt die Geschäftsführung weiterhin voll im Driver’s Seat – mit allen Möglichkeiten. Dabei wird sie von einem selbst gewählten Sanierungsexperten beraten.

Frage: Was sind die weiteren Vorteile eines solchen Eigenverwaltungsverfahrens?

Aus Sicht der Gesellschafter und Unternehmer ist dieses sehr attraktiv, weil die Gesellschafter nach erfolgreicher Sanierung häufig Inhaber ihres Unternehmens bleiben.

Frage: Wer zahlt im Insolvenzverfahren Löhne und Gehälter der Arbeitnehmer?

Arbeitnehmer erhalten ihr Geld für bis zu drei Monate vor Insolvenzeröffnung als Insolvenzgeld von der Bundesagentur für Arbeit. Die Beantragung übernimmt der vorläufige Insolvenzverwalter.

Frage: Was bedeutet das Insolvenzverfahren für die Geschäftsführung eines Unternehmens?

Die Insolvenzverwalter arbeiten mit der Führungsebene zusammen, um den Betrieb bestmöglich fortzuführen.

Frage: An wen können sich verunsicherte Unternehmer mit ihren Fragen wenden?

Es gibt viele Anwaltskanzleien, die sich auf Insolvenzrecht und Sanierungsberatung spezialisiert haben. Bei uns melden sich derzeit beispielsweise gerade sehr viele Unternehmer mit typischen Fragen zum Insolvenzrecht. Viele Dinge lassen sich dann bereits telefonisch oder per E-Mail klären. In anderen Fällen richten wir Video- oder Telefonkonferenzen ein, um unnötige persönliche Kontakte angesichts des Corona-Risikos zu vermeiden.

Peter-Alexander Borchardt ist Partner der Kanzlei Reimer Rechtsanwälte und zählt zu den renommiertesten deutschen Insolvenzverwaltern.

Reimer Rechtsanwälte ist eine auf das Insolvenz- und Wirtschaftsrecht spezialisierte Kanzlei mit mehr als 80 Mitarbeitern an den Standorten Hamburg, Kiel, Frankfurt, Hannover, Lübeck, Rostock, Mannheim und Flensburg. Die Partnergesellschaft zählt mit elf Insolvenzverwaltern und mehr als 20 Rechtsanwälten zu den größten und versiertesten deutschen Insolvenzrechtskanzleien.

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